Minister Rudolf Hundstorfer: „Wir hackl´n nicht zu wenig!“

In Österreich wächst die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Auf Einladung der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL) traf sich eine hochkarätige Expertenrunde im Wiener Novomatic Forum, um über die Auswirkungen der Steuerreform, mangelnden Reformwillen und die Auswirkung auf die Wahlen in der Steiermark und im Burgenland zu diskutierten. Am Podium: Rechnungshofpräsident Josef Moser, Minister Rudolf Hundstorfer, Agenda Austria Direktor Franz Schellhorn und der Schweizer Top-Manager Alexander Riklin.

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Wien. 3.6.2015. Internationale Studien belegen: Österreichs Wettbewerbsfähigkeit erreicht 2015 ihren historischen Tiefpunkt. Die ehemalige Insel der Seligen ist heute ein Schiff mit Schlagseite. Rechnungshofpräsident Josef Moser sieht die Schuld dafür in einem jahrelangen Missmanagement der Politik: „Wir haben kein Einnahmenproblem. Wir haben ein Ausgabenproblem. Der Rechnungshof weist seit 2006 darauf hin. Ohne Strukturreformen geht es nicht. Wir werden auch 2016 kein ausgeglichenes Budget zusammenbringen.“

Dabei liegen alle Zahlen und Lösungsvorschläge längst auf dem Tisch. „599 Vorschläge des Rechnungshofes liegen seit Langem vor. Umgesetzt wurde bis dato wenig“, so Moser am Podium der Top Speakers Lounge der HKSÖL. Er fordert daher mehr Mut von der Politik, auch wenn dieser Mut – wie das Wahlergebnis vom Wochenende verdeutlicht– oft schmerzhafte Konsequenzen hat. „In der Steiermark wurden Reformen gesetzt und jetzt wurde die Politik dafür abgestraft. Bei diesem Schuldenstand waren aber die Reformen längst notwendig.“

Baustelle Bildung

Ein „enormes Sparpotential“ ortet Moser im Bereich der Bildung. Etwa beim Lehrer-Schüler-Verhältnis. „In Österreich kommen auf einen Lehrer bei den 10- bis 14-Jährigen neun Schüler, im OECD-Schnitt sind es 13 Schüler. Wenn Sie sich aber die Unterrichtszeit anschauen, sind wir überdurchschnittlich "schlecht": Bei den 10- bis 14-Jährigen unterrichtet ein Lehrer in Österreich 607 Stunden, im internationalen Vergleich 694 Stunden. Weitere Stunden fließen in Vorbereitung, Nachbereitung und vor allem Administrativtätigkeiten. Dazu kommen die Schulversuche. In Österreich haben wir 5367 Schulversuche. Versuche, die oft schon über Jahrzehnte dauern…“, so Moser.

Sinnlose Steuerreform?

Doch wie kann man der Entwicklung gegensteuern? Der Schweizer Top-Manager Alexander Riklin sieht die aktuellen Maßnahmen der Regierung wirkungslos verpuffen. „Diese Steuerreform hat keine positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wir haben ein Problem: Die Arbeitskosten steigen überproportional an. Gleichzeitig ist die geleistete Arbeitszeit im internationalen Vergleich zu niedrig. Daher haben wir ein Problem, wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir rutschen ab. Mir als Schweizer, der gerne in Österreich lebt, tut das weh“, so der Geschäftsführer der Alcar Holding GmbH.

Das Argument, die Österreicher würden zu wenig leisten, wollte Bundesminister Rudolf Hundstorfer nicht unkommentiert im Raum stehen lassen. „Wir hackl´n nicht zu wenig! Wir haben die zweithöchste Arbeitszeit in ganz Europa. Wir machen 700 Millionen Überstunden pro Jahr. Ein Korridorpensionist erhält heute 25 Prozent weniger Pension. Letztes Jahr haben wir es geschafft, dass ganz Österreich um 13 Monate später in Pension gegangen ist. Jedes Jahr bringt eine Milliarde Einsparung.“

Macht‘s die Schweiz besser?

Aus Expertensicht sollten Wiener Politiker einmal ihre Blicke hinter den Arlberg werfen, um von den Eidgenossen zu lernen. Während sich einige Euroländer mit Haushaltsdefiziten in Rekordhöhe konfrontiert sehen, ist die Staatsverschuldung in der Schweiz trotz Krise kontinuierlich am Sinken – unter anderem durch die hierzulande verpönte  Schuldenbremse, die 2001 per Volksabstimmung eingeführt wurde. Die Schweizer Wirtschaft brach in der Finanzkrise weniger stark ein als in anderen Ländern und erholte sich schneller, ihre Beschäftigtenzahl liegt weit über dem Niveau anderer Industrieländer und von ihrer Schuldenquote in der Höhe von nur rund 45 Prozent der Wirtschaftsleistung wagen viele EU-Finanzminister nicht einmal zu träumen.

Riklin: „Es ist ein Fakt, dass Österreich in den letzten 10 Jahren an Wettbewerbskraft verliert. Das ist kein Krankreden. Nehmen Sie in Österreich die Wörter Leistung und Elite in den Mund. Die sind alle negativ besetzt. Das spüre ich hier besonders stark. Eine Elite ist nichts Negatives, sondern etwas Positives. Andererseits hat die Gründerszene sehr viel Aufwind. Es gibt jedoch immer noch zu wenig Risikokapital. Aber mir gefällt der Ansatz, Start-ups stärker zu fördern sehr gut. In Österreich muss die Politik das Tagespolitische hinten anstellen und Entscheidungen nicht danach fällen, wo sich die Wählerstimmen maximieren. Es sind mutige und nicht parteipolitische Entscheidungen nötig. Die Schweiz geht rationaler an Themen heran. Und damit auch ehrlicher. Man muss auch sagen können: Die Idee des anderen ist gut, lass uns die doch umsetzen.“

Franz Schellhorn, Direktor Agenda Austria, sieht es ähnlich. „Die größte Schwierigkeit sehe ich in der Stimmung. Der Bürger weiß, der Staat hat seine Ausgaben nicht im Griff. Wir sind seit 1972 ständig im Minus. Die Steuersenkung von morgen ist die Steuererhöhung von übermorgen. Die Deutschen haben es richtig gemacht. Die haben am Höhepunkt der Krise die Ausgaben gekürzt. In allen Rankings rutschen wir zurück. Wir haben es derzeit noch selbst in der Hand, aber der Druck fehlt. Dazu kommt: Die Regierungen können sich durch die EZB-Geldschwemme so günstig wie noch nie refinanzieren. Stellen Sie sich vor, die Zinsen steigen wieder.“

Positiv sieht Josef Moser, dass sich Länder und Gemeinden dazu bekannt haben, ihr Rechnungswesen weiterzuentwickeln. „Das hilft endlich, die tatsächliche Lage der Gebietskörperschaften zu kennen. Wir brauchen mehr Transparenz vor allem auch bei den Gemeindefinanzen.

Im Publikum saßen Christoph Bubb (Schweizer Botschafter), Harald Neumann (Aufsichtsrat Novomatic), Herbert Wegleitner (ELIN GmbH & Co KG), Wolfgang Lackner (Vorstandsvorsitzender Europäische Reiseversicherung AG), Christoph Sauermann (Geschäftsführer Mediclass), Herbert Stepic (Raiffeisen Bank International), Martin  Wrana (Styria Multi Media GmbH & Co KG), Christoph Kunath (UBS Luxembourg), Anita Gut (Schweizer Gesellschaft Wien), Georg Sparber  (Botschaft Liechtenstein), Markus Bürger und Hans Harrer (Senat der Wirtschaft), Christian Fuchs (Export Club OÖ), Peter Laggner (Trimetis AG), Albert Spielmann (Swiss Post Solutions AG), Georg Weidinger (Swiss Mail Solutions Gmbh), Oliver Zenz (GrECo International AG), Nikolaus Kawka (Zühlke AG)

 

Top Speakers Lounge

Die Plattform „Top Speakers Lounge“ ist eine Veranstaltungsreihe der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL), unterstützt von Ernst & Young und dem Novomatic Forum. Thematisiert werden aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft und Politik – zu den bisherigen Keynote Speakern zählten Peter Brabeck (Chairman Nestlé AG), Benedikt Weibel (CEO Westbahn AG) und Martin Senn (Group CEO Zurich Insurance Group).

Über die Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL):

Die HKSÖL versteht sich als umfassendes Netzwerk von Unternehmen und Verbänden, das die drei Länder Schweiz, Österreich und Liechtenstein verbindet. Die – rein privatwirtschaftlich finanzierte - Kammer unterstützt ihre Mitglieder bei Wirtschaftsbelangen aller Art und fungiert als Interessensvertretung gegenüber Behörden und Politik.

, 2015-06-03