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„Entwicklung der Antibiotika wurde in den letzten 20 Jahren vernachlässigt.“

04.07.2023 | Kunde: KURIER | Ressort: Österreich / Gesundheit / Pharma | Presseaussendung

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Lange waren Antibiotika die wirksamste Waffe gegen bakteriell hervorgerufene Krankheiten. Doch clevere Bakterien tricksen diese immer besser aus. Eine alarmierende Situation, die dringend entschärft werden muss. Beim KURIER und PHARMIG Expertentalk diskutierten Univ. Prof. Dr. Heinz Burgmann (Leiter der klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der MedUni Wien), Ina Herzer (Geschäftsführerin von Merck Sharp Dohme und Vize-Präsidentin der PHARMIG), Dr. Katharina Reich (Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit) und Prim. Dr. Petra Apfalter (Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Ordensklinikum Linz Elisabethinen) über mögliche Lösungen. Moderiert wurde die Diskussion von KURIER Redakteurin Monica Müller.

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Wien, am 4. Juli 2023. Die Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 und der später daraus resultierenden Antibiotika war ein Segen für die Menschheit und die Medizin. Viele lebensbedrohende Krankheiten wurden dadurch erstmals beherrschbar. Heute wird die Situation wieder prekärer, denn immer öfter und schneller gelingt es Bakterien, die Wirkmechanismen von Antibiotika auszuhebeln. Wodurch das möglich ist und welche Maßnahmen dringend notwendig sind, um die „schleichende Pandemie“ in den Griff zu bekommen und damit das von der WHO gezeichnete Horror-Szenario von bis zu 10 Millionen Toten im Jahr 2050 zu verhindern, diskutierten Experten beim KURIER und PHARMIG Gesundheitstalk.

So ernst ist die Lage bei uns:

Katharina Reich: „Im Gegensatz zum globalen Süden sind wir in Österreich noch in einer glücklichen Lage. Dennoch machen viele Bakterien und deren Resistenzentwicklungen gegenüber unseren effektivsten Waffen, den Antibiotika, Sorgen. Es ist höchste Zeit, zu reagieren und - Stichwort - ,One Health`, also die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt, als Einheit zu betrachten und Bewusstsein dafür zu schaffen. Die Probleme der Antibiotika-Resistenzen muss man global unter vielen Aspekten sehen.“  Petra Apfalter pflichtet ihr bei: Wir sind ständig von Mikroorganismen umgeben, die sich in kurzer Zeit rund um die Welt bewegen. Die Frage wird sein, wen trifft es wo? Wer in Österreich erkrankt, wird dank der Infektionsmedizin hier bestens versorgt, wenn man im Urlaub am Ende der Welt erkrankt, kann es aber heikel werden.“  Als besonders gefährdet sieht Katharina Reich hier Babys, kleine Kinder, ältere Menschen oder Diabetiker. „Schon kleine Wunden können da zu tiefgehenden Infektionen führen. Selbst Abszesse werden möglicherweise problematisch. Auch wenn operativ eingegriffen wurde, können sich Bakterien über die Blutbahn im Körper bereits verteilt haben. Das wird dann schnell zu einem Wettlauf gegen die Bakterien. Wenn ein Mensch ein Antibiotikum benötigt, ist die Sache ernst! Dramatisch wird es, wenn Antibiotika nicht mehr richtig greifen. Was passiert dann? Heinz Burgmann: „Ein Beispiel: Bei einer Lungenentzündung werden Antibiotika verabreicht, der Patient fiebert dann noch 24 bis 48 Stunden, sein Zustand verbessert sich. Er wird wieder gesund. Hat man es aber mit einem resistenten Erreger zu tun, bleibt dieser aktiv. Die meisten Antibiotika wirken in der Wachstumsphase der Bakterien. Funktioniert das nicht, wachsen und vermehren sich Bakterien ungehindert weiter, bis das Immunsystem irgendwann nicht mehr mit der Infektion fertig wird. Das kann tödlich enden. Im Grunde basiert die gesamte moderne Medizin darauf. Nach jeder Organtransplantation, Gelenksimplantation oder auch Chemotherapie kann es zu Infektionen kommen. Diese Therapien sind gefährdet, wenn resistente Keime auftreten, die auf herkömmliche Antibiotika nicht mehr oder nur gering reagieren. Durch die Antibiotika ist die Lebenserwartung um gut 20 Jahre gestiegen. Früher sind Krankheiten wie Lungen- oder Herzklappenentzündung oft tödlich verlaufen.“

Lösungen dringend gesucht…

Trotz dieser Erfolge drängt die Zeit. Heinz Burgmann: „Es ist zwingend notwendig, dass rasch Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen entwickelt werden. Das wurde in den letzten 20 Jahren vernachlässigt. Warum? In den 70er Jahren dachte man, das Problem mit den Infektionen gelöst zu haben. Deshalb hat man sich intensiver der Tumorforschung und der Herzinsuffizienz gewidmet. Die Antibiotika sind dabei auf der Strecke geblieben.“ Ina Herzer pflichtet ihm bei: „Es ist richtig, dass viele Hersteller diesbezüglich keine Aktivitäten mehr verfolgen. Das Grundproblem ist, diese Medikamente werden mit großem finanziellen und wissenschaftlichen Aufwand entwickelt, um sie in der Praxis dann möglichst restriktiv einzusetzen. Das ist ein Paradoxon, wenn man bedenkt, dass die Entwicklung viele Jahre dauert und Milliarden kostet.“

Doch welche Ideen und Lösungsansätze gibt es? „Mit der neuen Pharma-Legislative auf europäischer Ebene kommt aktuell Schwung in die Thematik. Das ist erfreulich, unter anderem soll es einen ,Transferable Exclusivity Voucher` (TEV) geben. Dieser belohnt Firmen unter bestimmten Voraussetzungen mit einem zusätzlichen Jahr Exklusivität für die Entwicklung eines neuen Antibiotikums. aber auch die Industrie ist aktiv. MSD ist beispielsweise jüngst in den ,Global AMR Action Fund` mit einem beachtlichen Investitionsvolumen eingestiegen. Wir sind mit 100 Millionen dabei. Ziel dieses Verfahrens ist die Entwicklung neuer Antibiotika“, so Herzer.

Was braucht es nun, um die Forschung anzukurbeln?

Katharina Reich: „Horizon Europe, EU for Health und Ähnliches sind Programme, um viele Player in ein Boot zu holen. Das ermöglicht es, auch unattraktive Themen in Netzwerken einzuhängen und kleine Firmen zur Mitarbeit zu animieren. Das Zusammenbringen verschiedenster Quellen ist essenziell. Wir werden auch datenmäßig aufrüsten müssen, um beste Gesundheitsbedingungen für Forschende und Pharmafirmen zu schaffen. Wir müssen Pharmaökonomie umfassender leben.“ Ina Herzer: „Wir brauchen insgesamt ein Ökosystem für Medikamente, damit wir Innovationen im medizinischen Bereich in Österreich anfeuern. Da geht es um junge Wissenschaft und Start-ups und generell um ein innovationsfreundliches Klima. Dafür müssen wir alle Gesellschaftsschichten begeistern.“ Für die Zukunft sieht Herzer folgenden Trend: „Um die Antibiotika-Forschung und Entwicklung zu unterstützen, hat die biopharmazeutische Industrie unter anderem Boehringer Ingelheim, MSD, Bayer, Pfizer, GSK, Novartis, Johnson und Johnson, Merck, Novo Nordisk mit anderen Partnern z.B. EIB unter der Leitung der IFPMA im Jahr 2020 den bereits erwähnten, mit einer Milliarde Dollar ausgestatteten ,Global AMR Action Fund` ins Leben gerufen. Ziel ist es, bis 2030 zwei bis vier neue Antibiotika zu entwickeln, deren Entwicklung sonst mangels Finanzierung gefährdet wäre. Darüber hinaus sind jedoch auch seitens der Politik konkrete Anreize wie beispielsweise der genannte TEV erforderlich, um einen tragfähigen Markt für Antibiotika zu schaffen.“

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